/Ü1/ Fußball am Balkan – Erkundungen zwischen (nationalistischem) Wahn, heroischer Männlichkeit und der (Schein)Normalität einer Region im Umbruch Vedran Dzihic /Ü2/ Von der Trauer am Fußballfeld zur traurigen Zerstörung des gemeinsam Geglaubten Es ist der vierte Mai, das Jahr 1980. Die Ärzte des Krankenhauses in Ljubljana verkünden um 15:04 das Ableben von Josip Broz Tito. In Split in Kroatien endet das Match zwischen dem kroatischen Verein Hajduk und dem serbischen Traditionsklub Crvena Zvezda (Roter Stern) aus Belgrad unentschieden, als der Stadionsprecher den Tod von Tito verkündet. Am Rasen liegen 22 Spieler und weinen. Die Bilder gingen um die Welt. Zehn Jahre später, am 13. Mai 1990, fand in Zagreb das Match zwischen den großen Rivalen Crvena Zvezda und Dinamo aus Zagreb statt. Das Spiel eskalierte und ging in die Geschichte als eines der Ereignisse ein, die symbolisch den Beginn vom Ende des Tito-Jugoslawien einläuteten. Die Anhänger des serbischen Fanclubs Delije und die kroatischen Fans von Dinamo, Bad Blue Boys, lieferten sich auf den Tribünen und am Rasen eine erbitterte Schlacht, die mit 79 verletzten Polizisten und 59 verletzten Zuschauern endete. »Das Chaos und die Zerstörung sandten Wellen der Angst durch Jugoslawien« (Silber/Little 1995: 95). Am 12. Oktober 2005 trafen die Mannschaften von Serbien-Montenegro und Bosnien-Herzegowina im entscheidenden Match um die Qualifikation für die Fußball- WM in Deutschland im Fußballstadion von Crvena Zvezda in Belgrad aufeinander. Zehn Jahre nach dem Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina inszenierten die serbischen Hooligans im Stadion und auf den Straßen von Belgrad einen Krieg gegen die Anhänger von Bosnien, elf Menschen wurden verletzt. Symbolisch wurde den Opfern des bosnischen Krieges die Fortsetzung der Kriegsgreuel angedroht: »Ubij Turcina« – »Töte den Türken«, »Ferhadija nek se gradi, rusice je Srbi mladi« – »Ferhadija soll gebaut werden, die jungen Serben werden sie zerstören«, »Hvala ti Ratko« – »Danke dir Ratko «. Und als Höhepunkt entrollten serbische Hooligans ein übergroßes Transparent mit der Botschaft »Noz, zica, Srebrenica« – »Messer, Stacheldraht, Srebrenica«, eine bewusste und tiefe Beleidigung der Opfer des größten Massakers der jugoslawischen Kriege in Srebrenica. Anhand der Ereignisse im Fußball lässt sich die Geschichte der letzten 25 Jahre auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und der Zerfall von Staat und Gesellschaft skizzieren. Die Trauer um den »größten Sohn des jugoslawischen Volkes« wandelte sich zur traurigen und gewalttätigen Zerstörung der Utopie eines gemeinsamen 1 Ferhadija ist der Name der im Krieg durch die serbischen Armee- und Polizeitruppen zerstörten Moschee in der bosnischen Stadt Banja Luka, die zu einer der ältesten und wertvollsten des ganzen Balkans gehörte. 2 Mit »Ratko« war der vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchte bosnisch-serbische General Ratko Mladic gemeint. Lebens im Rahmen des sozialistischen Jugoslawien. Die nationalistischen und chauvinistischen Politiken trugen den Sieg über das Vereinigende der Sprache, der Kultur, des gemeinsamen Lebens davon. Auch 15 Jahre danach – wie das Fußballmatch zwischen Serbien und Bosnien zeigt – sind die tiefen Wunden des gewaltsamen Staatszerfalls und der Agonie der Kriege und Zerstörungen noch immer da. /Ü2/ Fußball am Balkan – Rahmen für eine Erkundung im Feld des Politischen Die in den 1980er und 1990er Jahren von Männern und Männergruppen getragene Gewaltwelle sowie Masseninszenierungen und Gewaltorgien in den Fußballstadien waren viel mehr als nur eine Fortsetzung der Politik auf dem Fußballfeld mit anderen Mitteln – sie waren im ehemaligen Jugoslawien die Trendsetter für die zukünftigen Entwicklungen. Fußballvereine und ihre Fan-Gruppen – allesamt durch einen starken männlich-machistischen Habitus geprägt – wurden zu entscheidenden Symbolen des Nationalen und zu Mobilisierungsvehikeln für breite Massen der Bevölkerung. Fußball und die das »Feld des Fußballs« umfassenden Deutungen, Bilder, Metaphern, realen Ereignisse, Gesetzmäßigkeiten usw. stellten in den jugoslawischen Nachfolgestaaten Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien vielfach eine stark politisierte Ausdrucksform des radikal Nationalistischen und damit auch des männlich Chauvinistischen dar. Gleichzeitig haben sich die Formen und Ausprägungen des Nationalen bzw. des im Umbruch befindlichen Politischen in den zutiefst erschütterten Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawien gerade in Lebensbereichen mit hoher Authentizität, Natürlichkeit und Massencharakter wie dem Sport sehr leicht eingenistet. Zwar gab es gerade auch im Fußball Widerstand gegen die dominanten Formen des Politischen, allerdings blieben sie bis auf einige Ausnahmen kaum vermerkt und eher eine seltene Erscheinung. Gerade die strukturellen Merkmale der Verbindung zwischen dem Sport (in unserem Fall dem Fußball) und dem Politischen in der Region des ehemaligen Jugoslawien interessieren uns in diesem Beitrag. Eine Einschränkung muss dabei vorgenommen werden: In der Kürze dieser Darstellung können viele dem Feld des Fußballs am Balkan immanente Phänomene nur angedeutet und empirisch nicht in allen ihren Schattierungen erfasst werden. Dennoch sollen die wesentlichen Wirkungsmechanismen rund um das Feld des Fußballs vor dem Hintergrund der Frage nach der Bedeutung der Produktion und Reproduktion des Nationalen in den ex-jugoslawischen Gesellschaften dargestellt werden, nicht zuletzt im Kontext von Maskulinismen bzw. der Transformationen hegemonialer Männlichkeiten und Geschlechterverhältnisse im Verlauf der letzten 15 Jahre. 3 Mit der Einführung der Bourdieuschen relationalen Begrifflichkeit des »Feldes« (Bourdieu/Wacquant 1996: 127; Bourdieu 1993: 107) soll die hier vorgelegte Analyse vor essentialistischen und substantialistischen Interpretationsmustern geschützt werden, die gerade am Balkan und im Kontext der Krisen und Kriege der 1990er Jahre und des Nationalen im Generellen oft als Erklärungsvariablen herangezogen werden. /Ü2/ Von der Krise des Staates zum Staatszerfall. Die Koordinaten des Nationalen Der Aufstieg des Nationalismus in der ex-jugoslawischen Gesellschaft korrespondiert direkt mit der zunehmenden Staatsschwäche, der Zuspitzung der gesellschaftlichen Krisenerscheinungen und schlussendlich mit dem Staatszerfall. Zur Verbindung zwischen Sport und Nationalismus ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben worden. In dieser Arbeit geht es vorrangig darum, das Spezifische dieser Verbindung am Beispiel der drei größten ex-jugoslawischen Republiken, Kroatien, Bosnien- Herzegowina und Serbien, herauszuarbeiten. Allgemein betrachtet erweist sich die Definition der Begriffe wie Nation, Nationalismus, Nationalität usw. als notorisch schwierig, von ihrer Analyse ganz zu schweigen. Nach dem Wegfall der bipolaren Weltordnung und dem Umbruch des Jahres 1989/1990 lässt sich eine zusätzliche Intensivierung dieses Diskurses feststellen, bedingt vor allem durch die Wiederauferstehung bzw. ein deutliches Erstarken des Nationalismus in Ost- und Südosteuropa (und mit einer besonders tragischen Intensität am Gebiet des ehemaligen Jugoslawien). Diese »Renaissance« des Nationalismus und vor allem auch des Denkens in national bestimmten politischen Horizonten hat dazu geführt, dass das Phänomen des Nationalismus neuerdings ins Zentrum des Interesses vieler wissenschaftlicher Zweige gerückt ist. Dabei ergibt sich die Notwendigkeit, Phänomene wie Nation und Nationalismus abseits der klassischen Theorien, der modernisierungstheoretischen bzw. konstruktivistischen Ansätze und der essentialistischen Zugänge zum Nationalen im Licht der spezifischen Relationen zwischen den gesellschaftlichen Feldern zu verstehen und zu analysieren (Bourdieu 1998:17). Diese relationale Logik wurde in der Nationalismusforschung vor allem von Rogers Brubaker aufgenommen, der für eine Verabschiedung vom »gruppenzentrierten« und »essentialistischen« Begriff der Nation plädiert und stattdessen das »Nationale« als Begriff einführt – als Begriff der Analyse, getrennt vom Begriff der Nation als jenem der politischen Praxis und als einem ideengeschichtlichen Kampfbegriff. Brubaker führt Begriffe wie »nationhood« und »nationness« ein, da mit ihnen die spezifischen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Umstände, die zu einer konflikthaften Aktualisierung der nationalen Differenzen führen, besser erfasst werden können: /Zitat/ »We should focus on nation as a category of practice, nationhood as an institutionalised cultural and political form, and nationness as contingent event or happening [also als Ereignis, als Reaktion auf spezifische politische Konstellation – Anm. Dz.V.], and refrain from using the analytically dubious notion of ›nations‹ as substantial, enduring collectivities« (Brubaker 1996: 21). Bourdieu und Brubaker konsequent weitergedacht, sollten auch die Ereignisse im ex- jugoslawischen Fußball im Lichte des Nationalen als einer kontingenten und virulenten – daher auch leicht mobilisierbaren – Kategorie betrachtet werden, die stets in Relation zu den Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Feldern betrachtet 4 Essentialisten betrachten Nation als eine natürliche Form der menschlichen Einheit, die lediglich der moderne Ausdruck eines »primordialen Urprinzips« sei, das besagt, dass die Menschen schon immer in geschlossenen Gruppen gelebt haben und dass dies einem menschlichen Grundbedürfnis entspräche. werden muss. Man könnte hier auch vom Nationalen als einer real gewordenen Imagination (Anderson 1998) sprechen, die nicht zuletzt über das Feld des Fußballs – über Vorstellungen, Handlungen, Verhalten und Denken einzelner Akteure in diesem Feld – ihre reale Form bekommen hat. Die eruptive Aktualisierung des Nationalen in den 1980er Jahren spielte sich vor dem Hintergrund einer allgemeinen Krise der jugoslawischen Gesellschaft ab. Die akut gewordenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, als Folge davon der Anstieg der Inflation und der Anzahl der Arbeitslosen führten zu sozialen Problemen, die von Forderungen einiger Republiken nach einer stärkeren Autonomie vom Zentralstaat begleitet wurden. Die Schwäche der ideologischen Klammer des Jugoslawismus seit dem Tod von Tito und der Verlust der Glaubwürdigkeit der tragenden Säulen des Regimes (Armee, Polizei und Partei) führten zur zunehmenden Schwächung des Staates. Der Verlust der privilegierten geopolitischen und strategischen Position Jugoslawiens als Folge des Zerfalls des Ostblocks vertiefte die Krise zusätzlich. Das Fehlen zivilgesellschaftlicher Strukturen als Orte zur Neuverhandlung des gesellschaftlichen Vertrages zwischen den jugoslawischen Völkern sowie mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit vor 1945 zeigte all die Schwierigkeiten und Folgeprobleme eines Modernisierungsprozesses unter den Bedingungen einer autoritären Herrschaft auf und bereitete den Boden für die gewaltsame Artikulation des Nationalen in den 1990er Jahren (Stefanov/Werz 1994; Silber/Little 1995; Melcic 1999; Allcock 2000; Dzihic 2003). Der Nationalismus – also die spezifische Aktualisierung des Nationalen im beschriebenen ex-jugoslawischen Kontext – wurde somit in den 1990er Jahren zum »durchschnittlichen Zustand des Geistes«, (Bjelajac/Glavonjic/Zebic 13.10.2005) der sich als das »absolute Böse in Alle und Alles hineingeschlichen hat« (Konstantinovic 2003: 10), so auch ins Feld des Fußballs. Das Erleben des Nationalen als einer Art der großen exklusiven – ideologisch und real durch Männer und Männlichkeiten geprägten – »Superfamilie« im Stadion und rund um das »große Spiel« schuf neue Hierarchien, führte zu expliziten Diskriminierungen der »Anderen« und zu Gewalt. Das Feld des Fußballs oder des Sports allgemein bewährte sich hier – wie die folgenden Beispiele zeigen – als eines der wirksamsten Instrumente zur Aktivierung und Pflege von Wir-Bindungen sowie zur Schaffung von kollektiven Imaginationen des Nationalen. Durch den Fußball bekam der Nationalismus seinen volksnahen Charakter, erwarb sich Massen für sein Wirken. /Ü2/ Agonie des Fußballs im Wahn des Nationalen – Widersprüche des Verhältnisses zwischen Politik und Sport /Ü3/ Fußball im Dienst der Politik und des Nationalen… Das Verhalten der Fans und der Hooligans bzw. das allgemeine Verhalten von Menschen in den Stadien im ehemaligen Jugoslawien wurde im Laufe der 1980er Jahre zunehmend zu einer nationalen Auseinandersetzung. Die Identifikation mit der eigenen Mannschaft und dem Verein wurde immer öfters auf einer höheren Ebene durch die Identifikation mit der Nation ersetzt, die sehr leicht in Gewalt gegen die imaginären und später auch realen Anderen münden konnte. So tauchten in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zu den üblichen Transparenten, Fahnen und Liedern jene Symbole des Nationalen auf, die die 1990er Jahre so stark prägten – nationale Flaggen, Bilder von politischen Führern, politische Botschaften, Bilder von Heiligen, Tschetnik- und Ustascha-Abzeichen als Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Der historisch bedingte Antagonismus zwischen Serbien und Kroatien und der »ewige« Antagonismus zwischen serbischen und kroatischen Fußballfans kamen in dieser Zeit noch deutlicher zum Vorschein. Wie Ivan Colovic (1999, 2000, 2001, 2002) in seinen Werken zeigt, lehnte sich die ex-jugoslawische Presse bis in die frühen 1990er Jahre noch vehement gegen die zunehmende Politisierung und Nationalisierung des Fußballs auf (Colovic 2002: 456-459). Aber auch hier gab es bereits erste Tendenzen, die darauf hindeuten, dass der Vorwurf des Nationalismus, des Chauvinismus und der Gewalttätigkeit öfters an die Adresse der anderen – also nicht der eigenen Nation –gerichtet werden (ebd.: 458). Die eigenen gewalttätigen und nationalistischen Fans wurden immer als Ausnahmen dargestellt oder als Gruppen, die vom Bazillus des Nationalismus bei den anderen angesteckt – quasi als natürliche Reaktionen auf die Provokationen – auch zum Mittel des Nationalismus griffen. Zu Beginn der 1990er Jahre war die Metamorphose der ehemaligen Sozialisten und Kommunisten zu Nationalisten vollzogen. So erwies sich Fußball im ehemaligen Jugoslawien zu dieser Zeit als Vorbote des gewaltsamen Zerfalls des sozialistischen Jugoslawien und als zuverlässiger Seismograph der gesellschaftlichen Entwicklungen. Das bereits erwähnte Fußballmatch zwischen Dinamo Zagreb und Crvena Zvezda am 13. Mai 1990 in Zagreb endete in geplanten und gut orchestrierten Kämpfen zwischen kroatischen Fans der Bad Blue Boys und serbischen Fans der Delije, die ein gewisser Zeljko Raznjatovic Arkan anführte. Die Polizei griff ein, konnte (laut serbischen Politikern) oder wollte (die kroatische Version) die Fans nicht trennen, wurde so direkt in die Auseinandersetzung einbezogen und schlussendlich zu einem Politikum. Die Polizeikräfte bestanden zu diesem Zeitpunkt zu einem Großteil aus Serben, was dem neu gewählten kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman willkommener politischer Anlass zu einer »Säuberung« der Polizei war. Das Match ließ einen der besten Spieler von Dinamo, Zvonimir Boban, zu einer nationalen Legende und zum Symbol des Widerstands Kroatiens gegen die staatliche Macht Serbiens werden. Seine kameragerecht dargebotene Fußattacke gegen einen serbischen Polizisten, der gerade einen Anhänger von Dinamo Zagreb mit seinem Schlagstock angriff, war bedeutend mehr als nur ein Schlag gegen eine Person: es war eine Attacke gegen die Staatsmacht und der symbolische Beweis dafür, dass die Kroaten die Legitimität des jugoslawischen Staates nicht mehr anerkennen (wollten). Es war für Kroaten ein Zeichen des politischen, emotionalen und vor allem – auch in Abwesenheit der politischen Mittel zur Lösung der jugoslawischen Krise – gewalttätigen Abschieds aus einer Föderation, in der zumindest ein Teil ebenfalls die Gewalt als Mittel zur politischen Verhandlung benutzte. Mit diesem symbolischen Schlag und den Ereignissen im Stadion von Dinamo Zagreb wurde die Gewalt zu einer allgemein anerkannten und legitimierten Form des Austragens und Kommunizierens von gesellschaftlichen Konflikten. Ein Fußballmatch wurde so zum Spiegelbild der Staatsschwäche, der Transformation von Fans zu Kriegern, der akuten Mobilisierung des Nationalen und schließlich des Staatszerfalls. Dieses Match zeigte auch deutlich, dass nicht nur Politiker, sondern auch Fußballvereine und ihre Fangruppen eine politische Agenda verfolgten, die sie notfalls mit Gewalt zu erreichen versuchen. Im selben Jahr wurde ein erstes »offizielles Match« einer kroatischen Nationalelf zur Demonstration der kroatischen nationalen Eigenständigkeit umfunktioniert. Am 16. Oktober 1990 ließ Franjo Tudjman – minutiös geplant – die größte Demonstration des neuen kroatischen Nationalbewusstseins über die Bühne gehen: Die Rückkehr der von den Kommunisten vom Zagreber Hauptplatz entfernten Reiterstatue von Banus Jelacic auf den umbenannten Platz der Republik verband Tudjman mit dem Fußballmatch der kroatischen Nationalmannschaft gegen die USA. Die Botschaft war klar: Wir demonstrieren unsere nationale Eigenständigkeit und gehen auf direkten Konfrontationskurs mit dem Staat, in dem wir noch immer formal leben (Sack/Suster 2000: 313). Während die kroatischen Vereine 1990 noch im jugoslawischen Fußballverband spielten, wurde mit diesem ersten Match der kroatischen Nationalmannschaft der Weg der Trennung vom jugoslawischen Verband eingeschlagen. Etwas später im Jahr 1991 entschied sich Tudjman in einer seiner ersten Amtshandlungen an der Spitze Kroatiens für die Wiedergründung des kroatischen Fußballverbandes (Hrvatski nogometni savez – HNS) (Dolic 2002: 166f.). Wie in vielen anderen Bereichen (zum Beispiel bei der Wiedereinführung des kroatischen Wappens Sahovnica – Schachbrett – oder der alten kroatischen Währung Kuna) wählte Tudjman den Rückgriff auf die Tradition aus der Zeit des faschistischen »Unabhängigen Staates Kroatiens« (NDH). Im Jahr 1941 war der kroatische Fußballverband unter dem Namen HNS das erste Mal Mitglied der FIFA geworden (Hrvatski nogometni savez 3.1.2006). Tudjman holte sich dadurch Kritik aus dem linken Lager und aus dem Ausland, vergrößerte aber den Antagonismus zwischen Serbien und Kroatien bewusst und unterstrich den kroatischen nationalen »Sonderweg« (Dolic 2002: 167). Versuche der direkten Vereinnahmung des Fußballs für politische und nationale Zwecke zu Beginn der 1990er Jahre ließen sich genauso gut am Beispiel der beiden großen serbischen Traditionsvereine Crvena Zvezda und Partizan verfolgen. Und die Geschichte dieser Vereinnahmung setzte sich in Zeiten der Kriege und in der Phase der Post-Kriegs-Transformationen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten konsequent fort. Gerade große internationale Sportereignisse und die Erfolge der Nationalmannschaften wurden politisch »ausgeschlachtet«. In Kroatien waren es vor allem die Fußballerfolge, entlang derer sich die politischen Eingriffe verfolgen ließen, in Serbien die Auftritte der Basketballer bei Europa- und Weltmeisterschaften, während das zerstückelte Bosnien-Herzegowina nur auf die Erfolge der Nationalmannschaft der Kriegsinvaliden im Sitz-Volleyball bei den Paraolympics »stolz« sein konnte. Stellvertretend kann hier die Fußball-WM in Frankreich im Jahr 1998 stehen, die aber auch Schwierigkeiten der dauerhaften nationalen Mobilisierung der Menschen durch politisch geschwächte Regime aufzeigt, wie es die Regierung von Franjo Tudjman im Jahr 1998 war (Radulovic/Waldhauer 2000). Die politische Elite und vor allem der kroatische Präsident versuchten, die Begeisterung über die Erfolge der Fußballnationalelf in politisches Kleingeld für die regierende Partei HDZ umzumünzen. Tudjman selbst erklärte in Zeitungsinterviews die Bedeutung des Fußballerfolgs in Frankreich für die kroatische Nation. Die Behauptung der eigenen Superiorität, Vitalität und Kampfesstärke sollte zur Überhöhung der eigenen Nation und Stärkung der regierenden politischen Kräfte genutzt werden. Doch so gut das in den Tagen und Wochen nach der WM zu gelingen schien, so schnell ging der massenmobilisierende Effekt mit der Zeit verloren: Tudjman starb 1999 und seine HDZ verlor die Macht an die kroatischen Sozialdemokraten. /Ü3/ …aber auch nicht ohne Ende. Einige Skizzen über die Grenzen der politischen Einflussnahme So sehr die Politisierung und Nationalisierung des Fußballs auf einer Makroebene in den frühen 1990er Jahren zum dominanten Muster wurde, so deutlich konnten auf der lebensweltlichen Ebene Abweichungen vom Zwang des Mainstreams festgestellt werden. Die in diesen Jahren in einigen jugoslawischen Republiken auf die Spitze getriebene demonstrative Abkehr von jeglichen Traditionen und Kontinuitäten des sozialistischen Regimes und damit vom Jugoslawismus als herrschender Staatsideologie, führte vor allem in Slowenien, Kroatien und teilweise in Bosnien- Herzegowina zu deutlichen negativen Reflexen bei der Erwähnung des Wortes »Jugoslawien«. Jugoslawien, Jugoslawentum, das Jugoslawische usw. wurden hier vor allem als eine verdeckte und hegemoniale Strategie des serbischen Staates zur Sicherung von machtpolitischen Interessen und zur Sicherung des Status quo gesehen. So beteiligten sich auch die Fußballvereine und ihre Fans an der Suche nach genuinen Wurzeln der jeweiligen ethnischen und nationalen Identität und Eigenstaatlichkeit, die – so die gängige These – von als Jugoslawismus getarnten serbischen Interessen mit einem repressiven und autoritären Apparat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterdrückt worden waren. Angesichts dieser gesellschaftlichen Konstellation ist es äußerst interessant, dass sich die Fans des traditionellen Vereins der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo dem dominanten antijugoslawischen Reflex grundlegend verweigerten. So präsentieren sich die Fans von Sarajevo, Horde zla (Horden des Bösen), entgegen der herrschenden Ideologie als »orthodoxe Jugoslawen«. Das zeigt auch ein aktueller Auszug von der Homepage von Horde zla: »Das wichtigste ist für uns, dass wir 5 Nach dem Sieg gegen Deutschland im WM-Viertelfinale tauchten auch vermehrt Vergleiche der Tapferkeit der kroatischen Fußballwelt mit der Kriegstapferkeit und der überlegenen – männlich konnotierten – Stärke und Kraft der kroatischen Nation auf. So berichtete die kroatische Tageszeitung Vjesnik: »Die schrecklichen Teutonen« wurden auf eine Art und Weise besiegt, »wie nur Kroaten siegen: unerschrocken und gewittrig« (letzteres eine Anspielung auf die militärische Aktion »oluja« [Gewitter], mit der im August 1995 Kroatien »befreit« wurde [in kroatischer Leseart] bzw. die Serben aus der kroatischen Krajina vertrieben wurden). Fußball sei »eine Art Sublimierung von Nationalcharakter, Kultur, kollektivem Willen und kollektiver Kraft« (Vjesnik 10. Juli 1998). orthodoxe JUGOSLAWEN sind [Hervorhebung im Original], was offensichtlich vielen ein Dorn im Auge ist. Wir lieben unsere Heimat und schämen uns nicht dafür« (Horde zla 23.12.2005). Die Erklärung für ein solches Verhalten der Fans von Sarajevo muss in diesem Fall einerseits in der lebensweltlich verankerten multiethnischen Einstellung vieler Bewohner der Stadt gesucht werden, andererseits aber auch in einer Nostalgie nach relativ stabilen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, wie sie das ehemalige Jugoslawien im Gegensatz zum heutigen Bosnien-Herzegowina bieten konnte. Vor diesem spezifischen bosnischen Background lassen sich auch wiederholte Plädoyers bosnischer Fußballer und Trainer gegen die Vereinnahmung des Sports durch die Politik erklären. Als bestes Beispiel dient hier der Fußballtrainer und letzte gesamtjugoslawische Teamchef Ivica Osim, der sich mehrmals vehement gegen die politischen und nationalistischen Reflexe im Fußball ausgesprochen hat. Ein anderes Beispiel stammt aus Kroatien unter der Herrschaft von Franjo Tudjman. Im allgemeinen Wahn der Durchsetzung der »kroatischen Reinheit« entschied sich Tudjman zu Beginn der 1990er Jahre für die Umbenennung des traditionsreichsten kroatischen Fußballvereins Dinamo Zagreb zunächst einmal in Hask Gradanski und zwei Jahre später in Croatia. Die Fans von Dinamo Zagreb, die Bad Blue Boys (BBB), die eine der Speerspitzen der kroatischen nationalistischen und militanten Welle darstellten, stiegen nach dieser Entscheidung förmlich auf die Barrikaden und sagten der Tudjman-Partei HDZ und ihm selbst den Kampf für die Beibehaltung des alten Namens an. Gegen die Hartnäckigkeit des Fußballstamms der BBB stand die Politik auf verlorenem Posten. Auch wenn der Name Dinamo symbolisch, ideologisch und politisch zu einem der Begriffe des vorherigen sozialistischen Regimes – des in Kroatien verpönten Jugoslawismus – gehörte, hatte er im Laufe der Zeit für die Bad Blue Boys eine tiefere Bedeutung erlangt und Loyalitäten erzeugt, die durch Nichts und Niemanden angetastet werden durfte. Nach mehr als neun Jahren des Kampfes bekam der Verein seinen alten Namen Dinamo zurück (Bad Blue Boys 22.12.2005,Vrcan 2002). Diese Begebenheit verweist auf enorm starke genuine soziale Prozesse innerhalb des Fußballfelds und ihre Widersprüchlichkeit. Während in einem Fall die Politisierung des Fußballs voll durchgreift, werden in anderen Fällen autonome Gesetzmäßigkeiten und Bedeutungen innerhalb dieses Felds geschaffen, die sich bewusst dem Zugriff des Politischen entziehen (können). Doch zweiteres blieb im ex-jugoslawischen Kontext nicht mehr als eine Ausnahme und konnte schlussendlich zu keiner substantiellen Veränderung der wesentlichen – vor allem durch das Nationale und die männlich konnotierte Gewalt geprägten – Koordinaten des Feld des Fußballs beitragen. Im weiteren Verlauf dieses Beitrages sollen einige weitere strukturelle Merkmale dieses Fußballfelds – gerade im Zusammenhang mit Männlichkeit – angedeutet werden. /Ü2/ Von Fußballfans zu Kriegern – Gewalt und Männlichkeiten im Fußball am Balkan /Ü3/ Über die Symbolik der Gewalt Die symbolische Gewaltausübung im Fußballumfeld der frühen 1990er Jahre wurde in weiterer Folge an die Fronten der ex-jugoslawischen Kriege getragen und bekam dort auch eine blutige reale Dimension. Mit dieser ursprünglich symbolischen Dimension der Gewalt geht eine klare Ritualisierung der Gewaltausübung einher (Allcock 2000: 381-410). Betrachtet man die Verhaltensweisen von Hooligans in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien, so kann in den letzten 15 Jahren ein hoher Grad an Ritualisierung bei den Angriffen auf die Fans gegnerischer Mannschaften oder auf die Polizei festgestellt werden. Angeführt von einzelnen »Leadern«, die die Choreografie während des Spiels im Stadium (Fackeln, Fahnen, Transparente, Schals) organisieren und die Sprechchöre »dirigieren«, sind auch die Momente, in denen es zu »spontaner« Gewaltausübung kommt, ritualisiert: Man wirft zuerst die Fackeln oder harte Gegenstände auf das Feld, reißt dann die Sitze heraus, bewirft damit die gegnerischen Fans und stürmt am Schluss die Sicherheitsnetze und das Feld. Diese ritualisierten Kämpfe sind in weiterer Folge der Stoff, aus dem die Heroen entstehen. Es sind die besten und brutalsten Kämpfer am Fußballfeld und außerhalb, die unerschrockenen Anführer (so wie Arkan in Serbien in den 1990er Jahren), die in einer verunsicherten Gesellschaft zu Integrations- und Identifikationsfiguren sowie symbolischen Anführern der Nation werden. Bei der Interpretation der Gewaltwelle in den jugoslawischen Stadien in den 1990er Jahren darf der Zusammenhang zu Formen der Gewalt in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht vernachlässigt werden. So resultiert die Gewalt der Fans wesentlich daraus, dass in einer Situation der radikalen gesellschaftlichen Umbrüche, der Krise der Werte und einer erschwerten und marginalisierten sozialen Position von jungen Menschen (Männern?) die Anwendung der Gewalt einerseits zum »gewöhnlichen« Herrschaftsinstrument wurde, andererseits zur äußeren Ausdrucksform für die vielen Frustrationen des Alltags – quasi ein Sublimierungsmittel für die innere Ratlosigkeit angesichts der allgemeinen Verunsicherung, für den Verlust der Möglichkeiten zur Realisierung »normaler Biografien«. Dazu ein Auszug von der Homepage der Horde zla Fans von Sarajevo: »Heute sind alle Fangruppen aggressiv, vor allem wegen der politischen Situation und der schweren Krise, die in unserem Land herrscht. So soll man auch von Horde zla nicht erwarten, dass sie etwas besseres sein sollen, da unser heutiges Dasein nichts mehr ist als ein purer Kampf ums Überleben« (Horde zla 23.12.2005). 6 Viele Interpretationen der Gewalt im ex-jugoslawischen Kontext rekurrieren stattdessen auf traditionelle Balkanbilder und -klischees, in denen so etwas wie eine »genuine balkanische Gewaltsamkeit« postuliert wird. In dieser Vorstellung geht man von einem Konstrukt des »Balkans« aus, der im Gegensatz zum »aufgeklärten, rationalen, demokratischen Europa« als unzivilisiert, aggressiv, barbarisch, irrational und hasserfüllt sowie halbentwickelt und halbzivilisiert definiert wird. Durch die verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit am Balkan ist dieser Begriff im Laufe der Zeit ein pejorativer geworden (Todorova 1997, 2003). Der stigmatisierende Blick charakterisiert auch viele wissenschaftliche und politische Analysen und der Balkan wird so zu einer (wissenschaftlichen) Spielwiese, zu einer Produktionsstätte von Hyperrealitäten (Bjelic/Savic 2003). /Ü3/ Produktionen und Reproduktionen von Männlichkeiten im Fußball am Balkan Die Kultur der Fußballfans inkludiert auch eine Glorifizierung der Männlichkeit als einer notwendigen Eigenschaft von »echten« Fans. Diese Männlichkeit der Fußballanhänger betrifft klassischerweise die sexuelle Potenz, Kraft, Loyalität, Opferbereitschaft, den Mut, usw. Fans stellen sich selbst als bessere, stärkere, authentischere, sexuell potentere Männer als ihre Gegner aus anderen Nationen dar. Die anderen sind schwach, verweiblicht, homosexuell. So ein Hooligan von Crvena Zvezda: »We’re not just hooligans, we’re ready for anything. We showed those English homosexuals at Leicester how to fight« (Powder 2003: 75). Es sind in der Regel zwei Linien, entlang derer sich diese Männlichkeiten konstruieren und bestätigen: Einerseits geht es um Überhöhung der klassischen Männlichkeitsstereotype in den individuellen und kollektiven Verhaltensweisen der Fans, andererseits um Diffamierung der Männlichkeit des Gegners, die sich auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in Charakterisierungen wie »pederi« (»Schwuchteln«) und »picke« (»Mösen«) äußert. Im Feld des Fußballs wurden am Balkan zu Beginn der 1990er Jahre maßgeblich die kriegerischen und heroischen Männlichkeitsbilder geformt. So diente der Anführer der Fans von Crvena Zvezda, Zeljko Raznjatovic Arkan, in der serbischen Gesellschaft als Prototyp eines starken und mächtigen Mannes, der entschlossen und schnell handelnd jederzeit bereit und in der Lage ist, die überlegene Kraft und Gewalt – auf Fronten in Kroatien, Bosnien und später im Kosovo – im Namen der (serbischen) Nation einzusetzen. Seine paramilitärischen Einheiten namens Tiger, die sich ursprünglich zu einem großen Teil aus den Fans bzw. Hooligans von Crvena Zvezda, den Delije, rekrutierten, stellten das Gruppenvorbild dar: wie im Fußball agierten sie auch im Krieg – spontan aber immer aufeinander abgestimmt, hierarchisch, gut koordiniert und dirigiert vom Mannschaftskapitän. Sie waren kompromisslos in den Aktionen, immer auf das Ziel, die Vernichtung des Gegners, konzentriert und von ihrem Führer, Arkan, diszipliniert. Diese Disziplin übte starke Anziehungskraft auf die meistens jungen Fans aus. Stellvertretend dazu die Aussage von Dejan, einem jungen Hooligan von Crvena Zvezda aus Belgrad: /Zitat/ »I went straight to Arkan’s camp in Croatia. As a nationalist I thought it was my duty. At first I was impressed with the order and the sense of discipline. The training was good, and the emphasis on cleansing the Croatians and Moslems from Serb territory was essential. I didn’t witness atrocities that the Western media talk about. I didn’t see much criminal behaviour, far less than in the regular army, anyway« (Powder 2003). Insgesamt war es also nur ein kleiner Schritt vom gewalttätigen Symbolismus des Fan-Verhaltens in den Stadien hin zu militärischen Handlungen und zur Metamorphose zum Krieger (Bjelajac 2005). Die Vorbereitungen für die kriegerischen Ereignisse unter den Fans von Crvena Zvezda fanden laut Arkan schon sehr früh im Jahr 1990 statt, konkret im Vorfeld des schon mehrmals erwähnten Matchs zwischen Dinamo Zagreb und Crvena Zvezda. Dazu Arkan: »Am 13. Mai war das Spiel, wir haben uns sofort danach organisiert… Ich habe den Krieg wegen dieses Spiels in Zagreb prophezeit, ich habe alles prophezeit und habe gewusst, dass das Ustascha-Messer wieder serbische Kinder und Frauen schlachten wird« (Colovic 2002: 473). In der Folge kam es in den Medien zu einer Verherrlichung, einer regelrechten Stilisierung der Fans als Kämpfer und Helden, als »Speerspitzen« der Nation und der patriotischen Aufopferung. Dazu eine charakteristische Passage aus der Zeitung von Crvena Zvezda aus dem Jahr 1992: / Zitat/ »Alle mit ordentlich geschnittenen Haaren unter schwarzen Militärkappen singen wir ›Serbische Armee sind wir, Tiger von Arkan, lauter Freiwillige, die das serbische Land nie verraten.‹ Die lauten Schritte geben den Rhythmus an und der Melodie zusätzliche Kraft. Sie gehen in den Wald hinein, aus dem man laut die Stimmen vernehmen kann: ›In den Kampf, in den Kampf, steh auf mein lieber Serbe, verlasse nicht dein Heim, den Serben behüte Ehre und Gott.‹ Ich drehe den Film zurück und ordne die einzelnen von ihnen auf die Tribünen der europäischen Fußballstadien zu. Ich weiß genau, wo sie gestanden sind, wer die ersten Verse von den Liedern zuerst sang, wer die ersten Fahnen entrollte, wer die ersten Fackeln in die Höhe hielt. Delije von Arkan… […] Die besten Fans auf der Welt. Sie haben ihre Fanrequisiten irgendwo im Stadion Marakana [das Crvena Zvezda Stadion, Anm. Dz. V.] hinterlassen und gingen mit einem Gewehr in die Hand in den Krieg. Unerschrockene Kämpfer, Helden« (Colovic 2002: 474). Arkan selbst hat in den 1990er Jahren abgesehen von der Rolle des Hooligan- Anführers, des Kriegers und des Mafiabosses auch prototypisch die Rolle des Fußballmanagers und -präsidenten (im Fußballverein Obilic) übernommen, wo er mit seinen Mafiageldern den Verein bis zum serbischen Meistertitel und in die Qualifikationen für die Champions League führte. In all diesen Rollen definierte er für eine ganze Gesellschaft und eine ganze Generation den Prototyp der männlichen Figur des unerschrockenen, mutigen, risikobereiten und kompromisslosen Machos, der aber bei Bedarf auch seine emotionalen und weichen Seiten zeigen kann (Hochzeit mit der serbischen Turbo-Folk-Sängerin Ceca, Beschenken von kleinen Kindern, humanitäre Aktionen für serbische Flüchtlinge etc.) – die ihn aber schlussendlich wiederum als einen »echten und vollkommenen« Mann konstituieren, der eine perfekte Symbiose des national und (ideal)typisch Folkloristischen, Mythischen, Erotischen und Professionellen darstellt (Colovic 1999: 308-314). /Ü2/ Eros und Folklore des Fußballs – Erotik des Provinziellen: Eine dialektische Beziehung »Zentrales Element des Fußballs als Zuschauersport ist der Aspekt der Identifikation«, schreibt Spitaler (2005: 136). In der Welt des Fußballs offenbart sich die ganze Erotik der Identität, die sich rund um das Fußballfeld und seiner Symbole, seiner Helden, der Abgrenzungen vom Gegner bildet und zur Entstehung und Verfestigung sozialer, politischer und nationaler Identitäten beiträgt. Das Beispiel der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien zeigt sehr deutlich, wie weit die symbolische und realpolitische Instrumentalisierung dieses Sports für politische und nationalistische Zwecke gehen kann. Dies ist allerdings nur unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen denkbar, die auf Grund der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisenerscheinungen und Transformationen zum Verlust der festen Anhaltspunkte im Leben führen. Einen allgemeineren Hintergrund bildet aber auch eine spezifische Geisteshaltung, die der serbische Philosoph Radomir Konstantinovic 1969 in seinem Buch »Filozofija palanke« beschrieben hat. Das Buch von Konstantinovic (1969) prägte ganze Generationen der kritischen und anti-nationalistischen Denker in Serbien und Jugoslawien. In diesem Buch entwirft er auf beeindruckende Art und Weise die »Philosophie« (die er als Mentalität auffasst) des geschlossenen und selbstreferentiellen Geistes der »Provinz« (Palanka). Die Mythologisierung der eigenen Nation, die gewalttätigen Formen des Nationalismus, der stumpfe Hass gegen die Anderen, gegen die scheinbar Fremden, die Betonung der Authentizität, der Exklusivität und der Überlegenheit der eigenen Lebenswelten – all dies konstituiert den folkloristisch gefärbten Geist von Palanka. Das »Palanacko«, das »Provinzielle« oder das »Parochiale« als analytische Kategorien zielen nicht nur auf den serbischen Provinzialismus, sondern auf den Provinzialismus an sich als Lebensprinzip, das sich besonders gut im »volksnahen« Feld des Fußballs identifizieren lässt. In der Philosophie der »Palanke« verknüpft Konstantinovic den provinziellen Geist mit dem männlichen Geschlecht, das diese Provinzialität patriarchal und parochial generiert und fortschreibt. Einen fixen Bestandteil dieser (symbolischen) »Provinzialität« macht auch die Folklore der Fußballfans- und Hooligans aus. Auf der einen Seite handelt es sich dabei um folkloristische Elemente des Nationalen, die sich in einer Überhöhung der eigenen Nation sowie in einer offen vorgetragenen Aggressivität gegenüber den Gegnern am Fußballfeld und – auf genereller Ebene – gegenüber anderen Nationen zeigen. /Zitat/ »Wir sind Delije aus dem stolzen Serbien. Kommt auf die Terrasse hinaus, begrüßt die serbische Rasse. Vom Kosovo bis nach Knin, ein Serbe nach dem anderen. Slobo [Slobodan Milosevic, Anm. Dz.V.] du Serbe, Serbien ist mit dir. Wer sagt das, wer lügt da, dass Serbien klein ist. Serbien ist nicht klein, es hat Slobodan hervorgebracht« (Colovic 2002: 470). Neben der offenen Aggressivität in Bezug auf die Anderen, in diesem Fall Kroaten, lassen sich in der Folklore auch deutliche machistisch-sexistische Konnotation mit pornografischen Elementen finden. Das zeigen folgende Beispiele von der Homepage der Fans des Belgrader Fußballvereins Partizan: /Zitat/ »Zora rudi, Dan se beli, Jebacemo Zagreb celi, I cibonu i dinamo, Jebemo pa rasturamo.« [Ein neuer Morgen bricht an, der Tag wird hell, wir werden ganz Zagreb ficken, sowohl Cibona als auch Dinamo, ficken und zerstören wir.] /Zitat/ »Haj, ho, U Zagreb idemo, Da pijemo i bijemo, Haj, ho, Haj, ho, U Zagreb idemo, Ustase da karamo.« [Hej ho, Wir gehen nach Zagreb, um zu trinken und die anderen zu schlagen, Hej ho, Wir gehen nach Zagreb, um Ustase zu ficken.] (Grobari 22.12.2005) 7 Die hier am serbischen Beispiel skizzierte Folklore lässt sich in ähnlicher Form auch in Kroatien und Bosnien-Herzegowina feststellen. 8 Cibona ist der traditionsreichste kroatische Basketballverein. Ein anderer Teil der Folklore der Fußballfans und Hooligans am Balkan (und nicht nur dort) ist auch eine bewusste Betonung der eigenen Asozialität. Diese Stilisierung zeigt in Richtung einer eigenen Art von Subkultur, die sich durch Alkoholismus, Barbarismus, Vandalismus, Verrücktheit, Sex und eine pornografische Sprache charakterisieren ließe. Durch männlich-machistische Symbole und Semantik wird auch die männliche Stärke und Überlegenheit in Bezug auf das als schwach interpretierte weibliche Geschlecht – personifiziert im Gegner am Fußballfeld und durch eine andere Nation – potenziert. /Ü2/ Von den alten zu den neuen Formen des politisierten und politisierenden Fußballs und zurück: ein vorläufiges Schlusswort In den letzten Jahren lässt sich in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien eine scheinbare Normalisierung des Fußball-Felds in Form der Anpassung an die aktuellen Trends im internationalen Fußball ablesen, die durchaus auch am Balkan in Richtung verstärkter neoliberaler Kommerzialisierung und Ökonomisierung sowie einer hochtechnologischen Stilisierung und Darstellung in der Welt der neuen Medien gehen. Die alten nationalistischen und traditionellen Verhaltensmuster der 1990er Jahre vermengen sich mit diesen neuen Trends und gehen eine Symbiose ein, die sich sehr gut auch an den aktuellen Darstellungen von Fans und ihren Interessen auf den durchgestylten Webpages verfolgen lässt, die den westlichen um nichts nachstehen. Gleichzeitig hätte man erwarten können, dass nach dem Ende der Kriege und der autoritären Regime sowie einer – zumindest im kroatischen und serbischen Fall – Stabilisierung von (National)Staatlichkeit auch das Feld des Fußballs sich normalisieren und seine Bedeutung als Arena des Politischen und Nationalen verlieren würde. Zumindest schien es nahe liegend, dass nach einer relativen Zähmung der direkten Gewalt in der Gesellschaft diese auch in den Fußballstadien abnehmen könnte. Diese »Normalitätserwartungen« wurden nicht erfüllt. Denn die gesellschaftlichen und sozialen Bruchlinien sind nicht verschwunden. Das Ende des Krieges brachte das Ende der direkten Gewalt mit sich, markiert aber erst den Beginn der tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationen und Modernisierungsprozesse. Das Pathologische des Krieges wurde durch das Pathologische der Transformation ersetzt, die Krise des Sozialismus durch die (nationale) Transformationskrise. Es hat sich auch am Muster des Politischen nichts Grundlegendes geändert: weiterhin wird diese als exklusives Feld zur Durchsetzung eigener Partikularinteressen der einzelnen Machthaber und Eliten betrachtet, das entlang der »Freund-Feind-Dichotomie« funktioniert (Vrcan 2003: 119-124). Hinzu kommt noch eine zunehmende und der Logik der neoliberalen Marktwirtschaft folgende Präkarisierung der Arbeits- und Lebenswelten, die zu tiefen Verunsicherungen der einzelnen Menschen führt und den Sport als identitätsstiftendes und Sicherheit (in der Masse) vermittelndes Mittel attraktiv macht. Nicht zuletzt sind auch die alten nationalistischen und ethnischen 9 Vgl. hier Homepages der Fans von Crvena Zvezda - Delije (22.12.2005), von Partizan Belgrad - Grobari (22.12.2005), von Dinamo Zagreb - Bad Blue Boys (22.12.2005), von Hajduk Split - Torcida (22.12.2005), von Zeljeznicar aus Sarajevo - Manijaci (20.12.2005), von Sarajevo - Horde zla (22.12.2005). Muster der späten 1980er und der 1990er Jahre nach wie vor von hoher gesellschaftlicher und politischer Relevanz. Sowohl Bosnien-Herzegowina mit der dort ungebrochen starken und in alle Lebensbereiche hineinreichenden Ethnisierung und Nationalisierung, als auch Kroatien und Serbien mit einer konservativ- national(istisch)en – und hier weiterhin männerdominierten – Politikauffassung sind Gesellschaften, in denen das Nationale von ungebrochener Aktualität ist. Das Nationale – und weiterhin auch das Gewalttätige – in Permanenz wirkt somit auch im Feld des Fußballs fort. Das beste Beispiel dafür ist das in der Einleitung zu diesem Beitrag geschilderte Fußballmatch zwischen Serbien-Montenegro und Bosnien- Herzegowina im Oktober 2005 in Belgrad, das sich gemessen an Gewalt, Provokationen und nationalistisch-chauvinistischen Demonstrationen nicht von ähnlichen Fußballereignissen während der 1990er Jahre unterschied (Nikolaidis 2005). /Ü2/ Literaturverzeichnis Allcock, John B. (2000), Explaining Yugoslavia, London. Anderson, Benedict (1998), Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzeptes, Berlin. Bjelajac, Maja/Glavonjic, Zoran/Zebic, Enis (2005), Opet na stadionima divljanje i nacionalizam, Radio Free Europe, 13.10.2005, www.slobodnaevropa.org Bjelajac, Slobodan (2005), »The social structure of football fans in the city of Split«, kakanien revisited, 19.11.2005, Bjelic, Dusan I./Savic, Obrad (2003), Balkan kao metafora: Izmedu globalizacije i fragmentacija, Beograd. Bourdieu, Pierre (1993), Soziologische Fragen, Frankfurt/M. 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