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/Ü1/ Fußball am Balkan – Erkundungen zwischen (nationalistischem) Wahn,
heroischer Männlichkeit und der (Schein)Normalität einer Region im Umbruch
Vedran Dzihic
/Ü2/ Von der Trauer am Fußballfeld zur traurigen Zerstörung des gemeinsam
Geglaubten
Es ist der vierte Mai, das Jahr 1980. Die Ärzte des Krankenhauses in Ljubljana
verkünden um 15:04 das Ableben von Josip Broz Tito. In Split in Kroatien endet das
Match zwischen dem kroatischen Verein Hajduk und dem serbischen Traditionsklub
Crvena Zvezda (Roter Stern) aus Belgrad unentschieden, als der Stadionsprecher den
Tod von Tito verkündet. Am Rasen liegen 22 Spieler und weinen. Die Bilder gingen
um die Welt.
Zehn Jahre später, am 13. Mai 1990, fand in Zagreb das Match zwischen den großen
Rivalen Crvena Zvezda und Dinamo aus Zagreb statt. Das Spiel eskalierte und ging in
die Geschichte als eines der Ereignisse ein, die symbolisch den Beginn vom Ende des
Tito-Jugoslawien einläuteten. Die Anhänger des serbischen Fanclubs Delije und die
kroatischen Fans von DinamoBad Blue Boys, lieferten sich auf den Tribünen und am
Rasen eine erbitterte Schlacht, die mit 79 verletzten Polizisten und 59 verletzten
Zuschauern endete. »Das Chaos und die Zerstörung sandten Wellen der Angst durch
Jugoslawien« (Silber/Little 1995: 95).
Am 12. Oktober 2005 trafen die Mannschaften von Serbien-Montenegro und
Bosnien-Herzegowina im entscheidenden Match um die Qualifikation für die Fußball-
WM in Deutschland im Fußballstadion von Crvena Zvezda in Belgrad aufeinander.
Zehn Jahre nach dem Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina inszenierten die
serbischen Hooligans im Stadion und auf den Straßen von Belgrad einen Krieg gegen
die Anhänger von Bosnien, elf Menschen wurden verletzt. Symbolisch wurde den
Opfern des bosnischen Krieges die Fortsetzung der Kriegsgreuel angedroht: »Ubij
Turcina« – »Töte den Türken«, »Ferhadija nek se gradi, rusice je Srbi mladi« –
»Ferhadija
soll gebaut werden, die jungen Serben werden sie zerstören«, »Hvala ti
Ratko« – »Danke dir Ratko
«. Und als Höhepunkt entrollten serbische Hooligans ein
übergroßes Transparent mit der Botschaft »Noz, zica, Srebrenica« – »Messer,
Stacheldraht, Srebrenica«, eine bewusste und tiefe Beleidigung der Opfer des größten
Massakers der jugoslawischen Kriege in Srebrenica.
Anhand der Ereignisse im Fußball lässt sich die Geschichte der letzten 25 Jahre auf
dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und der Zerfall von Staat und Gesellschaft
skizzieren. Die Trauer um den »größten Sohn des jugoslawischen Volkes« wandelte
sich zur traurigen und gewalttätigen Zerstörung der Utopie eines gemeinsamen
1
Ferhadija ist der Name der im Krieg durch die serbischen Armee- und Polizeitruppen zerstörten
Moschee in der bosnischen Stadt Banja Luka, die zu einer der ältesten und wertvollsten des ganzen
Balkans gehörte.
2
Mit »Ratko« war der vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gesuchte bosnisch-serbische General
Ratko Mladic gemeint.
Lebens im Rahmen des sozialistischen Jugoslawien. Die nationalistischen und
chauvinistischen Politiken trugen den Sieg über das Vereinigende der Sprache, der
Kultur, des gemeinsamen Lebens davon. Auch 15 Jahre danach – wie das
Fußballmatch zwischen Serbien und Bosnien zeigt – sind die tiefen Wunden des
gewaltsamen Staatszerfalls und der Agonie der Kriege und Zerstörungen noch immer
da.
/Ü2/ Fußball am Balkan – Rahmen für eine Erkundung im Feld des Politischen
Die in den 1980er und 1990er Jahren von Männern und Männergruppen getragene
Gewaltwelle sowie Masseninszenierungen und Gewaltorgien in den Fußballstadien
waren viel mehr als nur eine Fortsetzung der Politik auf dem Fußballfeld mit anderen
Mitteln – sie waren im ehemaligen Jugoslawien die Trendsetter für die zukünftigen
Entwicklungen. Fußballvereine und ihre Fan-Gruppen – allesamt durch einen starken
männlich-machistischen Habitus geprägt – wurden zu entscheidenden Symbolen des
Nationalen und zu Mobilisierungsvehikeln für breite Massen der Bevölkerung.
Fußball und die das »Feld des Fußballs«
umfassenden Deutungen, Bilder,
Metaphern, realen Ereignisse, Gesetzmäßigkeiten usw. stellten in den jugoslawischen
Nachfolgestaaten Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien vielfach eine stark
politisierte Ausdrucksform des radikal Nationalistischen und damit auch des männlich
Chauvinistischen dar. Gleichzeitig haben sich die Formen und Ausprägungen des
Nationalen bzw. des im Umbruch befindlichen Politischen in den zutiefst
erschütterten Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawien gerade in Lebensbereichen
mit hoher Authentizität, Natürlichkeit und Massencharakter wie dem Sport sehr leicht
eingenistet. Zwar gab es gerade auch im Fußball Widerstand gegen die dominanten
Formen des Politischen, allerdings blieben sie bis auf einige Ausnahmen kaum
vermerkt und eher eine seltene Erscheinung.
Gerade die strukturellen Merkmale der Verbindung zwischen dem Sport (in unserem
Fall dem Fußball) und dem Politischen in der Region des ehemaligen Jugoslawien
interessieren uns in diesem Beitrag. Eine Einschränkung muss dabei vorgenommen
werden: In der Kürze dieser Darstellung können viele dem Feld des Fußballs am
Balkan immanente Phänomene nur angedeutet und empirisch nicht in allen ihren
Schattierungen erfasst werden. Dennoch sollen die wesentlichen
Wirkungsmechanismen rund um das Feld des Fußballs vor dem Hintergrund der
Frage nach der Bedeutung der Produktion und Reproduktion des Nationalen in den
ex-jugoslawischen Gesellschaften dargestellt werden, nicht zuletzt im Kontext von
Maskulinismen bzw. der Transformationen hegemonialer Männlichkeiten und
Geschlechterverhältnisse im Verlauf der letzten 15 Jahre.
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Mit der Einführung der Bourdieuschen relationalen Begrifflichkeit des »Feldes« (Bourdieu/Wacquant
1996: 127; Bourdieu 1993: 107) soll die hier vorgelegte Analyse vor essentialistischen und
substantialistischen Interpretationsmustern geschützt werden, die gerade am Balkan und im Kontext
der Krisen und Kriege der 1990er Jahre und des Nationalen im Generellen oft als Erklärungsvariablen
herangezogen werden.
/Ü2/ Von der Krise des Staates zum Staatszerfall. Die Koordinaten des Nationalen
Der Aufstieg des Nationalismus in der ex-jugoslawischen Gesellschaft korrespondiert
direkt mit der zunehmenden Staatsschwäche, der Zuspitzung der gesellschaftlichen
Krisenerscheinungen und schlussendlich mit dem Staatszerfall. Zur Verbindung
zwischen Sport und Nationalismus ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben
worden. In dieser Arbeit geht es vorrangig darum, das Spezifische dieser Verbindung
am Beispiel der drei größten ex-jugoslawischen Republiken, Kroatien, Bosnien-
Herzegowina und Serbien, herauszuarbeiten.
Allgemein betrachtet erweist sich die Definition der Begriffe wie Nation,
Nationalismus, Nationalität usw. als notorisch schwierig, von ihrer Analyse ganz zu
schweigen. Nach dem Wegfall der bipolaren Weltordnung und dem Umbruch des
Jahres 1989/1990 lässt sich eine zusätzliche Intensivierung dieses Diskurses
feststellen, bedingt vor allem durch die Wiederauferstehung bzw. ein deutliches
Erstarken des Nationalismus in Ost- und Südosteuropa (und mit einer besonders
tragischen Intensität am Gebiet des ehemaligen Jugoslawien). Diese »Renaissance«
des Nationalismus und vor allem auch des Denkens in national bestimmten
politischen Horizonten hat dazu geführt, dass das Phänomen des Nationalismus
neuerdings ins Zentrum des Interesses vieler wissenschaftlicher Zweige gerückt ist.
Dabei ergibt sich die Notwendigkeit, Phänomene wie Nation und Nationalismus
abseits der klassischen Theorien, der modernisierungstheoretischen bzw.
konstruktivistischen Ansätze und der essentialistischen Zugänge
zum Nationalen im
Licht der spezifischen Relationen zwischen den gesellschaftlichen Feldern zu
verstehen und zu analysieren (Bourdieu 1998:17).
Diese relationale Logik wurde in der Nationalismusforschung vor allem von Rogers
Brubaker aufgenommen, der für eine Verabschiedung vom »gruppenzentrierten« und
»essentialistischen« Begriff der Nation plädiert und stattdessen das »Nationale« als
Begriff einführt – als Begriff der Analyse, getrennt vom Begriff der Nation als jenem
der politischen Praxis und als einem ideengeschichtlichen Kampfbegriff. Brubaker
führt Begriffe wie »nationhood« und »nationness« ein, da mit ihnen die spezifischen
sozialen, gesellschaftlichen und politischen Umstände, die zu einer konflikthaften
Aktualisierung der nationalen Differenzen führen, besser erfasst werden können:
/Zitat/ »We should focus on nation as a category of practice, nationhood as an
institutionalised cultural and political form, and nationness as contingent event or
happening [also als Ereignis, als Reaktion auf spezifische politische Konstellation –
Anm. Dz.V.], and refrain from using the analytically dubious notion of ›nations‹ as
substantial, enduring collectivities« (Brubaker 1996: 21).
Bourdieu und Brubaker konsequent weitergedacht, sollten auch die Ereignisse im ex-
jugoslawischen Fußball im Lichte des Nationalen als einer kontingenten und
virulenten – daher auch leicht mobilisierbaren – Kategorie betrachtet werden, die stets
in Relation zu den Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Feldern betrachtet
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Essentialisten betrachten Nation als eine natürliche Form der menschlichen Einheit, die lediglich der
moderne Ausdruck eines »primordialen Urprinzips« sei, das besagt, dass die Menschen schon immer in
geschlossenen Gruppen gelebt haben und dass dies einem menschlichen Grundbedürfnis entspräche.
werden muss. Man könnte hier auch vom Nationalen als einer real gewordenen
Imagination (Anderson 1998) sprechen, die nicht zuletzt über das Feld des Fußballs –
über Vorstellungen, Handlungen, Verhalten und Denken einzelner Akteure in diesem
Feld – ihre reale Form bekommen hat.
Die eruptive Aktualisierung des Nationalen in den 1980er Jahren spielte sich vor dem
Hintergrund einer allgemeinen Krise der jugoslawischen Gesellschaft ab. Die akut
gewordenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, als Folge davon der Anstieg der
Inflation und der Anzahl der Arbeitslosen führten zu sozialen Problemen, die von
Forderungen einiger Republiken nach einer stärkeren Autonomie vom Zentralstaat
begleitet wurden. Die Schwäche der ideologischen Klammer des Jugoslawismus seit
dem Tod von Tito und der Verlust der Glaubwürdigkeit der tragenden Säulen des
Regimes (Armee, Polizei und Partei) führten zur zunehmenden Schwächung des
Staates. Der Verlust der privilegierten geopolitischen und strategischen Position
Jugoslawiens als Folge des Zerfalls des Ostblocks vertiefte die Krise zusätzlich. Das
Fehlen zivilgesellschaftlicher Strukturen als Orte zur Neuverhandlung des
gesellschaftlichen Vertrages zwischen den jugoslawischen Völkern sowie mangelnde
Aufarbeitung der Vergangenheit vor 1945 zeigte all die Schwierigkeiten und
Folgeprobleme eines Modernisierungsprozesses unter den Bedingungen einer
autoritären Herrschaft auf und bereitete den Boden für die gewaltsame Artikulation
des Nationalen in den 1990er Jahren (Stefanov/Werz 1994; Silber/Little 1995; Melcic
1999; Allcock 2000; Dzihic 2003).
Der Nationalismus – also die spezifische Aktualisierung des Nationalen im
beschriebenen ex-jugoslawischen Kontext – wurde somit in den 1990er Jahren zum
»durchschnittlichen Zustand des Geistes«, (Bjelajac/Glavonjic/Zebic 13.10.2005) der
sich als das »absolute Böse in Alle und Alles hineingeschlichen hat« (Konstantinovic
2003: 10), so auch ins Feld des Fußballs. Das Erleben des Nationalen als einer Art der
großen exklusiven – ideologisch und real durch Männer und Männlichkeiten
geprägten – »Superfamilie« im Stadion und rund um das »große Spiel« schuf neue
Hierarchien, führte zu expliziten Diskriminierungen der »Anderen« und zu Gewalt.
Das Feld des Fußballs oder des Sports allgemein bewährte sich hier – wie die
folgenden Beispiele zeigen – als eines der wirksamsten Instrumente zur Aktivierung
und Pflege von Wir-Bindungen sowie zur Schaffung von kollektiven Imaginationen
des Nationalen. Durch den Fußball bekam der Nationalismus seinen volksnahen
Charakter, erwarb sich Massen für sein Wirken.
/Ü2/ Agonie des Fußballs im Wahn des Nationalen – Widersprüche des Verhältnisses
zwischen Politik und Sport
/Ü3/ Fußball im Dienst der Politik und des Nationalen…
Das Verhalten der Fans und der Hooligans bzw. das allgemeine Verhalten von
Menschen in den Stadien im ehemaligen Jugoslawien wurde im Laufe der 1980er
Jahre zunehmend zu einer nationalen Auseinandersetzung. Die Identifikation mit der
eigenen Mannschaft und dem Verein wurde immer öfters auf einer höheren Ebene
durch die Identifikation mit der Nation ersetzt, die sehr leicht in Gewalt gegen die
imaginären und später auch realen Anderen münden konnte. So tauchten in den späten
1980er und frühen 1990er Jahren zu den üblichen Transparenten, Fahnen und Liedern
jene Symbole des Nationalen auf, die die 1990er Jahre so stark prägten – nationale
Flaggen, Bilder von politischen Führern, politische Botschaften, Bilder von Heiligen,
Tschetnik- und Ustascha-Abzeichen als Erinnerung an die Zeit des Zweiten
Weltkrieges. Der historisch bedingte Antagonismus zwischen Serbien und Kroatien
und der »ewige« Antagonismus zwischen serbischen und kroatischen Fußballfans
kamen in dieser Zeit noch deutlicher zum Vorschein. Wie Ivan Colovic (1999, 2000,
2001, 2002) in seinen Werken zeigt, lehnte sich die ex-jugoslawische Presse bis in die
frühen 1990er Jahre noch vehement gegen die zunehmende Politisierung und
Nationalisierung des Fußballs auf (Colovic 2002: 456-459). Aber auch hier gab es
bereits erste Tendenzen, die darauf hindeuten, dass der Vorwurf des Nationalismus,
des Chauvinismus und der Gewalttätigkeit öfters an die Adresse der anderen – also
nicht der eigenen Nation –gerichtet werden (ebd.: 458). Die eigenen gewalttätigen
und nationalistischen Fans wurden immer als Ausnahmen dargestellt oder als
Gruppen, die vom Bazillus des Nationalismus bei den anderen angesteckt – quasi als
natürliche Reaktionen auf die Provokationen – auch zum Mittel des Nationalismus
griffen. Zu Beginn der 1990er Jahre war die Metamorphose der ehemaligen
Sozialisten und Kommunisten zu Nationalisten vollzogen.
So erwies sich Fußball im ehemaligen Jugoslawien zu dieser Zeit als Vorbote des
gewaltsamen Zerfalls des sozialistischen Jugoslawien und als zuverlässiger
Seismograph der gesellschaftlichen Entwicklungen. Das bereits erwähnte
Fußballmatch zwischen Dinamo Zagreb und Crvena Zvezda am 13. Mai 1990 in
Zagreb endete in geplanten und gut orchestrierten Kämpfen zwischen kroatischen
Fans der Bad Blue Boys und serbischen Fans der Delije, die ein gewisser Zeljko
Raznjatovic Arkan anführte. Die Polizei griff ein, konnte (laut serbischen Politikern)
oder wollte (die kroatische Version) die Fans nicht trennen, wurde so direkt in die
Auseinandersetzung einbezogen und schlussendlich zu einem Politikum. Die
Polizeikräfte bestanden zu diesem Zeitpunkt zu einem Großteil aus Serben, was dem
neu gewählten kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman willkommener politischer
Anlass zu einer »Säuberung« der Polizei war.
Das Match ließ einen der besten Spieler von Dinamo, Zvonimir Boban, zu einer
nationalen Legende und zum Symbol des Widerstands Kroatiens gegen die staatliche
Macht Serbiens werden. Seine kameragerecht dargebotene Fußattacke gegen einen
serbischen Polizisten, der gerade einen Anhänger von Dinamo Zagreb mit seinem
Schlagstock angriff, war bedeutend mehr als nur ein Schlag gegen eine Person: es war
eine Attacke gegen die Staatsmacht und der symbolische Beweis dafür, dass die
Kroaten die Legitimität des jugoslawischen Staates nicht mehr anerkennen (wollten).
Es war für Kroaten ein Zeichen des politischen, emotionalen und vor allem – auch in
Abwesenheit der politischen Mittel zur Lösung der jugoslawischen Krise –
gewalttätigen Abschieds aus einer Föderation, in der zumindest ein Teil ebenfalls die
Gewalt als Mittel zur politischen Verhandlung benutzte. Mit diesem symbolischen
Schlag und den Ereignissen im Stadion von Dinamo Zagreb wurde die Gewalt zu
einer allgemein anerkannten und legitimierten Form des Austragens und
Kommunizierens von gesellschaftlichen Konflikten. Ein Fußballmatch wurde so zum
Spiegelbild der Staatsschwäche, der Transformation von Fans zu Kriegern, der akuten
Mobilisierung des Nationalen und schließlich des Staatszerfalls. Dieses Match zeigte
auch deutlich, dass nicht nur Politiker, sondern auch Fußballvereine und ihre
Fangruppen eine politische Agenda verfolgten, die sie notfalls mit Gewalt zu
erreichen versuchen.
Im selben Jahr wurde ein erstes »offizielles Match« einer kroatischen Nationalelf zur
Demonstration der kroatischen nationalen Eigenständigkeit umfunktioniert. Am 16.
Oktober 1990 ließ Franjo Tudjman – minutiös geplant – die größte Demonstration des
neuen kroatischen Nationalbewusstseins über die Bühne gehen: Die Rückkehr der von
den Kommunisten vom Zagreber Hauptplatz entfernten Reiterstatue von Banus
Jelacic auf den umbenannten Platz der Republik verband Tudjman mit dem
Fußballmatch der kroatischen Nationalmannschaft gegen die USA. Die Botschaft war
klar: Wir demonstrieren unsere nationale Eigenständigkeit und gehen auf direkten
Konfrontationskurs mit dem Staat, in dem wir noch immer formal leben (Sack/Suster
2000: 313).
Während die kroatischen Vereine 1990 noch im jugoslawischen Fußballverband
spielten, wurde mit diesem ersten Match der kroatischen Nationalmannschaft der Weg
der Trennung vom jugoslawischen Verband eingeschlagen. Etwas später im Jahr 1991
entschied sich Tudjman in einer seiner ersten Amtshandlungen an der Spitze
Kroatiens für die Wiedergründung des kroatischen Fußballverbandes (Hrvatski
nogometni savez – HNS) (Dolic 2002: 166f.). Wie in vielen anderen Bereichen (zum
Beispiel bei der Wiedereinführung des kroatischen Wappens Sahovnica – Schachbrett
– oder der alten kroatischen Währung Kuna) wählte Tudjman den Rückgriff auf die
Tradition aus der Zeit des faschistischen »Unabhängigen Staates Kroatiens« (NDH).
Im Jahr 1941 war der kroatische Fußballverband unter dem Namen HNS das erste
Mal Mitglied der FIFA geworden (Hrvatski nogometni savez 3.1.2006). Tudjman
holte sich dadurch Kritik aus dem linken Lager und aus dem Ausland, vergrößerte
aber den Antagonismus zwischen Serbien und Kroatien bewusst und unterstrich den
kroatischen nationalen »Sonderweg« (Dolic 2002: 167).
Versuche der direkten Vereinnahmung des Fußballs für politische und nationale
Zwecke zu Beginn der 1990er Jahre ließen sich genauso gut am Beispiel der beiden
großen serbischen Traditionsvereine Crvena Zvezda und Partizan verfolgen. Und die
Geschichte dieser Vereinnahmung setzte sich in Zeiten der Kriege und in der Phase
der Post-Kriegs-Transformationen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten
konsequent fort. Gerade große internationale Sportereignisse und die Erfolge der
Nationalmannschaften wurden politisch »ausgeschlachtet«. In Kroatien waren es vor
allem die Fußballerfolge, entlang derer sich die politischen Eingriffe verfolgen ließen,
in Serbien die Auftritte der Basketballer bei Europa- und Weltmeisterschaften,
während das zerstückelte Bosnien-Herzegowina nur auf die Erfolge der
Nationalmannschaft der Kriegsinvaliden im Sitz-Volleyball bei den Paraolympics
»stolz« sein konnte.
Stellvertretend kann hier die Fußball-WM in Frankreich im Jahr 1998 stehen, die
aber auch Schwierigkeiten der dauerhaften nationalen Mobilisierung der Menschen
durch politisch geschwächte Regime aufzeigt, wie es die Regierung von Franjo
Tudjman im Jahr 1998 war (Radulovic/Waldhauer 2000).
Die politische Elite und
vor allem der kroatische Präsident versuchten, die Begeisterung über die Erfolge
der Fußballnationalelf in politisches Kleingeld für die regierende Partei HDZ
umzumünzen. Tudjman selbst erklärte in Zeitungsinterviews die Bedeutung des
Fußballerfolgs in Frankreich für die kroatische Nation. Die Behauptung der
eigenen Superiorität, Vitalität und Kampfesstärke sollte zur Überhöhung der
eigenen Nation und Stärkung der regierenden politischen Kräfte genutzt werden.
Doch so gut das in den Tagen und Wochen nach der WM zu gelingen schien, so
schnell ging der massenmobilisierende Effekt mit der Zeit verloren: Tudjman starb
1999 und seine HDZ verlor die Macht an die kroatischen Sozialdemokraten.
/Ü3/ …aber auch nicht ohne Ende. Einige Skizzen über die Grenzen der politischen
Einflussnahme
So sehr die Politisierung und Nationalisierung des Fußballs auf einer Makroebene in
den frühen 1990er Jahren zum dominanten Muster wurde, so deutlich konnten auf der
lebensweltlichen Ebene Abweichungen vom Zwang des Mainstreams festgestellt
werden.
Die in diesen Jahren in einigen jugoslawischen Republiken auf die Spitze getriebene
demonstrative Abkehr von jeglichen Traditionen und Kontinuitäten des
sozialistischen Regimes und damit vom Jugoslawismus als herrschender
Staatsideologie, führte vor allem in Slowenien, Kroatien und teilweise in Bosnien-
Herzegowina zu deutlichen negativen Reflexen bei der Erwähnung des Wortes
»Jugoslawien«. Jugoslawien, Jugoslawentum, das Jugoslawische usw. wurden hier
vor allem als eine verdeckte und hegemoniale Strategie des serbischen Staates zur
Sicherung von machtpolitischen Interessen und zur Sicherung des Status quo gesehen.
So beteiligten sich auch die Fußballvereine und ihre Fans an der Suche nach genuinen
Wurzeln der jeweiligen ethnischen und nationalen Identität und Eigenstaatlichkeit, die
– so die gängige These – von als Jugoslawismus getarnten serbischen Interessen mit
einem repressiven und autoritären Apparat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges
unterdrückt worden waren.
Angesichts dieser gesellschaftlichen Konstellation ist es äußerst interessant, dass sich
die Fans des traditionellen Vereins der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt
Sarajevo dem dominanten antijugoslawischen Reflex grundlegend verweigerten.
So präsentieren sich die Fans von SarajevoHorde zla (Horden des Bösen), entgegen
der herrschenden Ideologie als »orthodoxe Jugoslawen«. Das zeigt auch ein aktueller
Auszug von der Homepage von Horde zla: »Das wichtigste ist für uns, dass wir
5
Nach dem Sieg gegen Deutschland im WM-Viertelfinale tauchten auch vermehrt Vergleiche der
Tapferkeit der kroatischen Fußballwelt mit der Kriegstapferkeit und der überlegenen – männlich
konnotierten – Stärke und Kraft der kroatischen Nation auf. So berichtete die kroatische Tageszeitung
Vjesnik: »Die schrecklichen Teutonen« wurden auf eine Art und Weise besiegt, »wie nur Kroaten
siegen: unerschrocken und gewittrig« (letzteres eine Anspielung auf die militärische Aktion »oluja«
[Gewitter], mit der im August 1995 Kroatien »befreit« wurde [in kroatischer Leseart] bzw. die Serben
aus der kroatischen Krajina vertrieben wurden). Fußball sei »eine Art Sublimierung von
Nationalcharakter, Kultur, kollektivem Willen und kollektiver Kraft« (Vjesnik 10. Juli 1998).
orthodoxe JUGOSLAWEN sind [Hervorhebung im Original], was offensichtlich
vielen ein Dorn im Auge ist. Wir lieben unsere Heimat und schämen uns nicht dafür«
(Horde zla 23.12.2005).
Die Erklärung für ein solches Verhalten der Fans von Sarajevo muss in diesem Fall
einerseits in der lebensweltlich verankerten multiethnischen Einstellung vieler
Bewohner der Stadt gesucht werden, andererseits aber auch in einer Nostalgie nach
relativ stabilen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, wie sie das
ehemalige Jugoslawien im Gegensatz zum heutigen Bosnien-Herzegowina bieten
konnte. Vor diesem spezifischen bosnischen Background lassen sich auch wiederholte
Plädoyers bosnischer Fußballer und Trainer gegen die Vereinnahmung des Sports
durch die Politik erklären. Als bestes Beispiel dient hier der Fußballtrainer und letzte
gesamtjugoslawische Teamchef Ivica Osim, der sich mehrmals vehement gegen die
politischen und nationalistischen Reflexe im Fußball ausgesprochen hat.
Ein anderes Beispiel stammt aus Kroatien unter der Herrschaft von Franjo Tudjman.
Im allgemeinen Wahn der Durchsetzung der »kroatischen Reinheit« entschied sich
Tudjman zu Beginn der 1990er Jahre für die Umbenennung des traditionsreichsten
kroatischen Fußballvereins Dinamo Zagreb zunächst einmal in Hask Gradanski und
zwei Jahre später in Croatia. Die Fans von Dinamo Zagreb, die Bad Blue Boys
(BBB), die eine der Speerspitzen der kroatischen nationalistischen und militanten
Welle darstellten, stiegen nach dieser Entscheidung förmlich auf die Barrikaden und
sagten der Tudjman-Partei HDZ und ihm selbst den Kampf für die Beibehaltung des
alten Namens an. Gegen die Hartnäckigkeit des Fußballstamms der BBB stand die
Politik auf verlorenem Posten. Auch wenn der Name Dinamo symbolisch, ideologisch
und politisch zu einem der Begriffe des vorherigen sozialistischen Regimes – des in
Kroatien verpönten Jugoslawismus – gehörte, hatte er im Laufe der Zeit für die Bad
Blue Boys eine tiefere Bedeutung erlangt und Loyalitäten erzeugt, die durch Nichts
und Niemanden angetastet werden durfte. Nach mehr als neun Jahren des Kampfes
bekam der Verein seinen alten Namen Dinamo zurück (Bad Blue Boys
22.12.2005,Vrcan 2002).
Diese Begebenheit verweist auf enorm starke genuine soziale Prozesse innerhalb des
Fußballfelds und ihre Widersprüchlichkeit. Während in einem Fall die Politisierung
des Fußballs voll durchgreift, werden in anderen Fällen autonome Gesetzmäßigkeiten
und Bedeutungen innerhalb dieses Felds geschaffen, die sich bewusst dem Zugriff des
Politischen entziehen (können). Doch zweiteres blieb im ex-jugoslawischen Kontext
nicht mehr als eine Ausnahme und konnte schlussendlich zu keiner substantiellen
Veränderung der wesentlichen – vor allem durch das Nationale und die männlich
konnotierte Gewalt geprägten – Koordinaten des Feld des Fußballs beitragen. Im
weiteren Verlauf dieses Beitrages sollen einige weitere strukturelle Merkmale dieses
Fußballfelds – gerade im Zusammenhang mit Männlichkeit – angedeutet werden.
/Ü2/ Von Fußballfans zu Kriegern – Gewalt und Männlichkeiten im Fußball am
Balkan
/Ü3/ Über die Symbolik der Gewalt
Die symbolische Gewaltausübung im Fußballumfeld der frühen 1990er Jahre wurde
in weiterer Folge an die Fronten der ex-jugoslawischen Kriege getragen und bekam
dort auch eine blutige reale Dimension. Mit dieser ursprünglich symbolischen
Dimension der Gewalt geht eine klare Ritualisierung der Gewaltausübung einher
(Allcock 2000: 381-410). Betrachtet man die Verhaltensweisen von Hooligans in
Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien, so kann in den letzten 15 Jahren ein
hoher Grad an Ritualisierung bei den Angriffen auf die Fans gegnerischer
Mannschaften oder auf die Polizei festgestellt werden. Angeführt von einzelnen
»Leadern«, die die Choreografie während des Spiels im Stadium (Fackeln, Fahnen,
Transparente, Schals) organisieren und die Sprechchöre »dirigieren«, sind auch die
Momente, in denen es zu »spontaner« Gewaltausübung kommt, ritualisiert: Man wirft
zuerst die Fackeln oder harte Gegenstände auf das Feld, reißt dann die Sitze heraus,
bewirft damit die gegnerischen Fans und stürmt am Schluss die Sicherheitsnetze und
das Feld. Diese ritualisierten Kämpfe sind in weiterer Folge der Stoff, aus dem die
Heroen entstehen. Es sind die besten und brutalsten Kämpfer am Fußballfeld und
außerhalb, die unerschrockenen Anführer (so wie Arkan in Serbien in den 1990er
Jahren), die in einer verunsicherten Gesellschaft zu Integrations- und
Identifikationsfiguren sowie symbolischen Anführern der Nation werden.
Bei der Interpretation der Gewaltwelle in den jugoslawischen Stadien in den 1990er
Jahren darf der Zusammenhang zu Formen der Gewalt in anderen gesellschaftlichen
Bereichen nicht vernachlässigt werden. So resultiert die Gewalt der Fans wesentlich
daraus, dass in einer Situation der radikalen gesellschaftlichen Umbrüche, der Krise
der Werte und einer erschwerten und marginalisierten sozialen Position von jungen
Menschen (Männern?) die Anwendung der Gewalt einerseits zum »gewöhnlichen«
Herrschaftsinstrument wurde, andererseits zur äußeren Ausdrucksform für die vielen
Frustrationen des Alltags – quasi ein Sublimierungsmittel für die innere Ratlosigkeit
angesichts der allgemeinen Verunsicherung, für den Verlust der Möglichkeiten zur
Realisierung »normaler Biografien«.
Dazu ein Auszug von der Homepage der Horde zla Fans von Sarajevo:
»Heute sind alle Fangruppen aggressiv, vor allem wegen der politischen Situation und
der schweren Krise, die in unserem Land herrscht. So soll man auch von Horde zla
nicht erwarten, dass sie etwas besseres sein sollen, da unser heutiges Dasein nichts
mehr ist als ein purer Kampf ums Überleben« (Horde zla 23.12.2005).
6
Viele Interpretationen der Gewalt im ex-jugoslawischen Kontext rekurrieren stattdessen auf
traditionelle Balkanbilder und -klischees, in denen so etwas wie eine »genuine balkanische
Gewaltsamkeit« postuliert wird. In dieser Vorstellung geht man von einem Konstrukt des »Balkans«
aus, der im Gegensatz zum »aufgeklärten, rationalen, demokratischen Europa« als unzivilisiert,
aggressiv, barbarisch, irrational und hasserfüllt sowie halbentwickelt und halbzivilisiert definiert wird.
Durch die verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit am Balkan ist dieser Begriff im Laufe der Zeit ein
pejorativer geworden (Todorova 1997, 2003). Der stigmatisierende Blick charakterisiert auch viele
wissenschaftliche und politische Analysen und der Balkan wird so zu einer (wissenschaftlichen)
Spielwiese, zu einer Produktionsstätte von Hyperrealitäten (Bjelic/Savic 2003).
/Ü3/ Produktionen und Reproduktionen von Männlichkeiten im Fußball am Balkan
Die Kultur der Fußballfans inkludiert auch eine Glorifizierung der Männlichkeit als
einer notwendigen Eigenschaft von »echten« Fans. Diese Männlichkeit der
Fußballanhänger betrifft klassischerweise die sexuelle Potenz, Kraft, Loyalität,
Opferbereitschaft, den Mut, usw. Fans stellen sich selbst als bessere, stärkere,
authentischere, sexuell potentere Männer als ihre Gegner aus anderen Nationen dar.
Die anderen sind schwach, verweiblicht, homosexuell. So ein Hooligan von Crvena
Zvezda: »We’re not just hooligans, we’re ready for anything. We showed those
English homosexuals at Leicester how to fight« (Powder 2003: 75).
Es sind in der Regel zwei Linien, entlang derer sich diese Männlichkeiten
konstruieren und bestätigen: Einerseits geht es um Überhöhung der klassischen
Männlichkeitsstereotype in den individuellen und kollektiven Verhaltensweisen der
Fans, andererseits um Diffamierung der Männlichkeit des Gegners, die sich auf dem
Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in Charakterisierungen wie »pederi«
(»Schwuchteln«) und »picke« (»Mösen«) äußert.
Im Feld des Fußballs wurden am Balkan zu Beginn der 1990er Jahre maßgeblich die
kriegerischen und heroischen Männlichkeitsbilder geformt. So diente der Anführer
der Fans von Crvena Zvezda, Zeljko Raznjatovic Arkan, in der serbischen
Gesellschaft als Prototyp eines starken und mächtigen Mannes, der entschlossen und
schnell handelnd jederzeit bereit und in der Lage ist, die überlegene Kraft und Gewalt
– auf Fronten in Kroatien, Bosnien und später im Kosovo – im Namen der
(serbischen) Nation einzusetzen. Seine paramilitärischen Einheiten namens Tiger, die
sich ursprünglich zu einem großen Teil aus den Fans bzw. Hooligans von Crvena
Zvezda, den Delije, rekrutierten, stellten das Gruppenvorbild dar: wie im Fußball
agierten sie auch im Krieg – spontan aber immer aufeinander abgestimmt,
hierarchisch, gut koordiniert und dirigiert vom Mannschaftskapitän. Sie waren
kompromisslos in den Aktionen, immer auf das Ziel, die Vernichtung des Gegners,
konzentriert und von ihrem Führer, Arkan, diszipliniert. Diese Disziplin übte starke
Anziehungskraft auf die meistens jungen Fans aus. Stellvertretend dazu die Aussage
von Dejan, einem jungen Hooligan von Crvena Zvezda aus Belgrad:
/Zitat/ »I went straight to Arkan’s camp in Croatia. As a nationalist I thought it was
my duty. At first I was impressed with the order and the sense of discipline. The
training was good, and the emphasis on cleansing the Croatians and Moslems from
Serb territory was essential. I didn’t witness atrocities that the Western media talk
about. I didn’t see much criminal behaviour, far less than in the regular army,
anyway« (Powder 2003).
Insgesamt war es also nur ein kleiner Schritt vom gewalttätigen Symbolismus des
Fan-Verhaltens in den Stadien hin zu militärischen Handlungen und zur
Metamorphose zum Krieger (Bjelajac 2005). Die Vorbereitungen für die
kriegerischen Ereignisse unter den Fans von Crvena Zvezda fanden laut Arkan schon
sehr früh im Jahr 1990 statt, konkret im Vorfeld des schon mehrmals erwähnten
Matchs zwischen Dinamo Zagreb und Crvena Zvezda. Dazu Arkan: »Am 13. Mai war
das Spiel, wir haben uns sofort danach organisiert… Ich habe den Krieg wegen dieses
Spiels in Zagreb prophezeit, ich habe alles prophezeit und habe gewusst, dass das
Ustascha-Messer wieder serbische Kinder und Frauen schlachten wird« (Colovic
2002: 473). In der Folge kam es in den Medien zu einer Verherrlichung, einer
regelrechten Stilisierung der Fans als Kämpfer und Helden, als »Speerspitzen« der
Nation und der patriotischen Aufopferung. Dazu eine charakteristische Passage aus
der Zeitung von Crvena Zvezda aus dem Jahr 1992:
/ Zitat/ »Alle mit ordentlich geschnittenen Haaren unter schwarzen Militärkappen
singen wir ›Serbische Armee sind wir, Tiger von Arkan, lauter Freiwillige, die das
serbische Land nie verraten.‹ Die lauten Schritte geben den Rhythmus an und der
Melodie zusätzliche Kraft. Sie gehen in den Wald hinein, aus dem man laut die
Stimmen vernehmen kann: ›In den Kampf, in den Kampf, steh auf mein lieber Serbe,
verlasse nicht dein Heim, den Serben behüte Ehre und Gott.‹ Ich drehe den Film
zurück und ordne die einzelnen von ihnen auf die Tribünen der europäischen
Fußballstadien zu. Ich weiß genau, wo sie gestanden sind, wer die ersten Verse von
den Liedern zuerst sang, wer die ersten Fahnen entrollte, wer die ersten Fackeln in die
Höhe hielt. Delije von Arkan… […] Die besten Fans auf der Welt. Sie haben ihre
Fanrequisiten irgendwo im Stadion Marakana [das Crvena Zvezda Stadion, Anm. Dz.
V.] hinterlassen und gingen mit einem Gewehr in die Hand in den Krieg.
Unerschrockene Kämpfer, Helden« (Colovic 2002: 474).
Arkan selbst hat in den 1990er Jahren abgesehen von der Rolle des Hooligan-
Anführers, des Kriegers und des Mafiabosses auch prototypisch die Rolle des
Fußballmanagers und -präsidenten (im Fußballverein Obilic) übernommen, wo er mit
seinen Mafiageldern den Verein bis zum serbischen Meistertitel und in die
Qualifikationen für die Champions League führte. In all diesen Rollen definierte er
für eine ganze Gesellschaft und eine ganze Generation den Prototyp der männlichen
Figur des unerschrockenen, mutigen, risikobereiten und kompromisslosen Machos,
der aber bei Bedarf auch seine emotionalen und weichen Seiten zeigen kann
(Hochzeit mit der serbischen Turbo-Folk-Sängerin Ceca, Beschenken von kleinen
Kindern, humanitäre Aktionen für serbische Flüchtlinge etc.) – die ihn aber
schlussendlich wiederum als einen »echten und vollkommenen« Mann konstituieren,
der eine perfekte Symbiose des national und (ideal)typisch Folkloristischen,
Mythischen, Erotischen und Professionellen darstellt (Colovic 1999: 308-314).
/Ü2/ Eros und Folklore des Fußballs – Erotik des Provinziellen: Eine dialektische
Beziehung
»Zentrales Element des Fußballs als Zuschauersport ist der Aspekt der
Identifikation«, schreibt Spitaler (2005: 136). In der Welt des Fußballs offenbart sich
die ganze Erotik der Identität, die sich rund um das Fußballfeld und seiner Symbole,
seiner Helden, der Abgrenzungen vom Gegner bildet und zur Entstehung und
Verfestigung sozialer, politischer und nationaler Identitäten beiträgt. Das Beispiel der
Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien zeigt sehr deutlich, wie weit die
symbolische und realpolitische Instrumentalisierung dieses Sports für politische und
nationalistische Zwecke gehen kann. Dies ist allerdings nur unter gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen denkbar, die auf Grund der politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Krisenerscheinungen und Transformationen zum Verlust der festen
Anhaltspunkte im Leben führen. Einen allgemeineren Hintergrund bildet aber auch
eine spezifische Geisteshaltung, die der serbische Philosoph Radomir Konstantinovic
1969 in seinem Buch »Filozofija palanke« beschrieben hat.
Das Buch von Konstantinovic (1969) prägte ganze Generationen der kritischen und
anti-nationalistischen Denker in Serbien und Jugoslawien. In diesem Buch entwirft er
auf beeindruckende Art und Weise die »Philosophie« (die er als Mentalität auffasst)
des geschlossenen und selbstreferentiellen Geistes der »Provinz« (Palanka). Die
Mythologisierung der eigenen Nation, die gewalttätigen Formen des Nationalismus,
der stumpfe Hass gegen die Anderen, gegen die scheinbar Fremden, die Betonung der
Authentizität, der Exklusivität und der Überlegenheit der eigenen Lebenswelten – all
dies konstituiert den folkloristisch gefärbten Geist von Palanka.
Das »Palanacko«, das »Provinzielle« oder das »Parochiale« als analytische
Kategorien zielen nicht nur auf den serbischen Provinzialismus, sondern auf den
Provinzialismus an sich als Lebensprinzip, das sich besonders gut im »volksnahen«
Feld des Fußballs identifizieren lässt. In der Philosophie der »Palanke« verknüpft
Konstantinovic den provinziellen Geist mit dem männlichen Geschlecht, das diese
Provinzialität patriarchal und parochial generiert und fortschreibt.
Einen fixen Bestandteil dieser (symbolischen) »Provinzialität« macht auch die
Folklore der Fußballfans- und Hooligans aus. Auf der einen Seite handelt es sich
dabei um folkloristische Elemente des Nationalen, die sich in einer Überhöhung der
eigenen Nation sowie in einer offen vorgetragenen Aggressivität gegenüber den
Gegnern am Fußballfeld und – auf genereller Ebene – gegenüber anderen Nationen
zeigen.
/Zitat/ »Wir sind Delije aus dem stolzen Serbien. Kommt auf die Terrasse hinaus,
begrüßt die serbische Rasse. Vom Kosovo bis nach Knin, ein Serbe nach dem
anderen. Slobo [Slobodan Milosevic, Anm. Dz.V.] du Serbe, Serbien ist mit dir. Wer
sagt das, wer lügt da, dass Serbien klein ist. Serbien ist nicht klein, es hat Slobodan
hervorgebracht« (Colovic 2002: 470).
Neben der offenen Aggressivität in Bezug auf die Anderen, in diesem Fall Kroaten,
lassen sich in der Folklore auch deutliche machistisch-sexistische Konnotation mit
pornografischen Elementen finden. Das zeigen folgende Beispiele von der Homepage
der Fans des Belgrader Fußballvereins Partizan:
/Zitat/ »Zora rudi, Dan se beli, Jebacemo Zagreb celi, I cibonu i dinamo, Jebemo pa
rasturamo.« [Ein neuer Morgen bricht an, der Tag wird hell, wir werden ganz Zagreb
ficken, sowohl Cibona
als auch Dinamo, ficken und zerstören wir.]
/Zitat/ »Haj, ho, U Zagreb idemo, Da pijemo i bijemo, Haj, ho, Haj, ho, U Zagreb
idemo, Ustase da karamo.« [Hej ho, Wir gehen nach Zagreb, um zu trinken und die
anderen zu schlagen, Hej ho, Wir gehen nach Zagreb, um Ustase zu ficken.] (Grobari
22.12.2005)
7
Die hier am serbischen Beispiel skizzierte Folklore lässt sich in ähnlicher Form auch in Kroatien und
Bosnien-Herzegowina feststellen.
8
Cibona ist der traditionsreichste kroatische Basketballverein.
Ein anderer Teil der Folklore der Fußballfans und Hooligans am Balkan (und nicht
nur dort) ist auch eine bewusste Betonung der eigenen Asozialität. Diese Stilisierung
zeigt in Richtung einer eigenen Art von Subkultur, die sich durch Alkoholismus,
Barbarismus, Vandalismus, Verrücktheit, Sex und eine pornografische Sprache
charakterisieren ließe. Durch männlich-machistische Symbole und Semantik wird
auch die männliche Stärke und Überlegenheit in Bezug auf das als schwach
interpretierte weibliche Geschlecht – personifiziert im Gegner am Fußballfeld und
durch eine andere Nation – potenziert.
/Ü2/ Von den alten zu den neuen Formen des politisierten und politisierenden
Fußballs und zurück: ein vorläufiges Schlusswort
In den letzten Jahren lässt sich in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien eine
scheinbare Normalisierung des Fußball-Felds in Form der Anpassung an die aktuellen
Trends im internationalen Fußball ablesen, die durchaus auch am Balkan in Richtung
verstärkter neoliberaler Kommerzialisierung und Ökonomisierung sowie einer
hochtechnologischen Stilisierung und Darstellung in der Welt der neuen Medien
gehen. Die alten nationalistischen und traditionellen Verhaltensmuster der 1990er
Jahre vermengen sich mit diesen neuen Trends und gehen eine Symbiose ein, die sich
sehr gut auch an den aktuellen Darstellungen von Fans und ihren Interessen auf den
durchgestylten Webpages verfolgen lässt, die den westlichen um nichts nachstehen.
Gleichzeitig hätte man erwarten können, dass nach dem Ende der Kriege und der
autoritären Regime sowie einer – zumindest im kroatischen und serbischen Fall –
Stabilisierung von (National)Staatlichkeit auch das Feld des Fußballs sich
normalisieren und seine Bedeutung als Arena des Politischen und Nationalen
verlieren würde. Zumindest schien es nahe liegend, dass nach einer relativen
Zähmung der direkten Gewalt in der Gesellschaft diese auch in den Fußballstadien
abnehmen könnte.
Diese »Normalitätserwartungen« wurden nicht erfüllt. Denn die gesellschaftlichen
und sozialen Bruchlinien sind nicht verschwunden. Das Ende des Krieges brachte das
Ende der direkten Gewalt mit sich, markiert aber erst den Beginn der tiefgreifenden
gesellschaftlichen Transformationen und Modernisierungsprozesse. Das
Pathologische des Krieges wurde durch das Pathologische der Transformation ersetzt,
die Krise des Sozialismus durch die (nationale) Transformationskrise. Es hat sich
auch am Muster des Politischen nichts Grundlegendes geändert: weiterhin wird diese
als exklusives Feld zur Durchsetzung eigener Partikularinteressen der einzelnen
Machthaber und Eliten betrachtet, das entlang der »Freund-Feind-Dichotomie«
funktioniert (Vrcan 2003: 119-124). Hinzu kommt noch eine zunehmende und der
Logik der neoliberalen Marktwirtschaft folgende Präkarisierung der Arbeits- und
Lebenswelten, die zu tiefen Verunsicherungen der einzelnen Menschen führt und den
Sport als identitätsstiftendes und Sicherheit (in der Masse) vermittelndes Mittel
attraktiv macht. Nicht zuletzt sind auch die alten nationalistischen und ethnischen
9
Vgl. hier Homepages der Fans von Crvena Zvezda - Delije (22.12.2005), von Partizan Belgrad -
Grobari (22.12.2005), von Dinamo Zagreb - Bad Blue Boys (22.12.2005), von Hajduk Split - Torcida
(22.12.2005), von Zeljeznicar aus Sarajevo - Manijaci (20.12.2005), von Sarajevo - Horde zla
(22.12.2005).
Muster der späten 1980er und der 1990er Jahre nach wie vor von hoher
gesellschaftlicher und politischer Relevanz. Sowohl Bosnien-Herzegowina mit der
dort ungebrochen starken und in alle Lebensbereiche hineinreichenden Ethnisierung
und Nationalisierung, als auch Kroatien und Serbien mit einer konservativ-
national(istisch)en – und hier weiterhin männerdominierten – Politikauffassung sind
Gesellschaften, in denen das Nationale von ungebrochener Aktualität ist. Das
Nationale – und weiterhin auch das Gewalttätige – in Permanenz wirkt somit auch im
Feld des Fußballs fort. Das beste Beispiel dafür ist das in der Einleitung zu diesem
Beitrag geschilderte Fußballmatch zwischen Serbien-Montenegro und Bosnien-
Herzegowina im Oktober 2005 in Belgrad, das sich gemessen an Gewalt,
Provokationen und nationalistisch-chauvinistischen Demonstrationen nicht von
ähnlichen Fußballereignissen während der 1990er Jahre unterschied (Nikolaidis
2005).
/Ü2/ Literaturverzeichnis
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